Als wäre sie Marlene Dietrich: Ute Lemper geht auf bewegende Art in ihrer Rolle auf.
Publication: Westfälische Nachrichten
Date: 4 October, 2019
By: Hans Lüttmann
Faszinierende Erinnerungen
Von Kopf bis Fuß auf Marlene eingestellt: Zum leisen Vibrato einer Geige schreitet Ute Lemper elegant-gelassen im engen, hochgeschlitzten schwarzen Abendkleid mit champagner-weißer Stola auf die Bühne des Großen Hauses – und ist nicht mehr sie selbst. Vom ersten Ton der bravourösen, wunderbar aufeinander eingestellten Musiker ihrer Band geht Ute Lemper in ihrer Rolle auf und singt und spielt und ja: Sie ist Marlene Dietrich für zweieinhalb Stunden. Lempers Gesten, ihre Posen, der schiefe Mundwinkel, die tiefe, laszive Stimme, diese Eleganz und das erste Lied des Abends („Sag mir, wo die Blumen sind“) entführen das Publikum nach Paris, in die Avenue de Montaigne 12, in der an einem Abend im November 1988 die 87-jährige Marlene Dietrich zum Telefon greift – und drei Stunden lang mit Ute Lemper spricht.
Die ikonische Marlene, Lichtspielgöttin ihrer Zeit, Diva, Femme Fatale, „Blauer Engel“, starke Frau und freier Geist, Weltstar des deutschen Films, die keine Tabus kannte, spricht – unfassbar für die damals 24-jährige Ute Lemper – über ihr Leben. („Keine Fragen, Ute, das ist doch kein Interview, ich will nur erzählen.“), über ihre Ehe, ihre Affären, über Arbeit, Stil, die Leidenschaft für Rilke, das zerrüttete Verhältnis zur Tochter Marie, ihre verzehrende Liebe zu Jean Gabin, über Trauer, Einsamkeit – und Alkohol.
Erst nach einer halben Stunde begrüßt Ute Lemper das Publikum – als Ute Lemper: „Jetzt bin ich es, Ute.“ Und erzählt davon, dass dieses Telefonat tatsächlich stattgefunden hat, wie baff sie war und dass es ihr damals beinahe peinlich war, als sie in Paris als „die neue Marlene“ gefeiert wurde, die der echten Marlene einen Brief geschrieben hat. „Süß, die Kleine“, sagt Marlene-Ute, lehnt sich zurück in ihren Divasessel zwischen leeren Flaschen, „Lola“-Hocker, roter Federboa und Glitzerfummel am Kleiderhaken, drückt die Stola an sich, gibt den Blick auf ihre langen Beine frei und haucht rauchig-verträumt: „Ich werde sie wohl mal anrufen.“
Nach der Pause, im edlen, weißen Glitzerkleid, trauert die alternde, menschenscheu gewordene Marlene der Liebe ihres Lebens nach, Jean Gabin, dem zuliebe sie nach Paris gezogen war. Nach Jacques Brels tragischem Gassenhauer „Ne me quitte pas“ als melodramatischem Höhepunkt – mehr Verzweiflung, Kummer und Einsamkeit geht nicht – unternahm Lemper Ausflüge in ein anderes Genres und zeigte, dass sie auch eine exzellente Jazzsängerin ist.
Zwischen US-Army-Weltkriegs-Auftritten, drollig-schlüpfrigen Amouren in Truppenbetten, glühendem Antifaschismus („Es braucht wenig Hirn, um Anti-Nazi zu werden“) und ihrer selbstgewählten Einsamkeit singt Marlene-Ute „Keep up the illusion“, wahre den Schein, zieh’ es durch. Nach rund zweieinhalb Stunden ist Ute Lemper zwar wieder Ute, aber sie entlässt ihr Publikum in die Nacht mit der Illusion, Marlene begegnet zu sein.
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